... wichtige Produktionsstandorte in Ostdeutschland aufgeben. Der Wiederaufbau verlorengegangener oder kriegsbeschädigter Werke konzentriert sich jetzt auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin. Einer der Standorte im Bundesgebiet ist Kassel. Kassel ist verkehrsgünstig gelegen. Außerdem erweist sich die vorhandene Infrastruktur als vorteilhaft. Namhafte Industrieunternehmen wie die Panzerschmiede Krauss-Maffei (heute Krauss-Maffei-Wegmann), die Henschel-Werke oder später ab 1957 das Volkswagenwerk Kassel produzieren hier. Der Vorstand der AEG wählt diesen Industriestandort und siedelt in Kassel Werke für Hochspannungstechnik an.
1948 wird eine AEG-Hochspannungs-Schaltgerätefabrik gebaut. 1953 nimmt das Kasseler Hochspannungsinstitut der AEG seine Entwicklungs- und Forschungsarbeit auf. Neben dem neuen Hochspannungsfeld gilt auch das neu geschaffene Hochleistungsversuchsfeld als eines der größten und modernsten dieser Art. Dort werden immer leistungsfähigere Anlagen der Hochspannungstechnik getestet. Allein der Prüftransformator ist mehr als 8 m hoch und kann Spannungen von 1,2 Mio. V erzeugen. Eine Kugelfunkenstrecke und ein für Spannungen bis 3 Mio. V ausgelegter Stoßgenerator ermöglichen Versuche in bislang nicht getesteten Hochspannungsdimensionen.
Ausgestattet mit einem solchen hochqualifizierten Hochspannungsinstitut war Kassel geeigneter Fertigungsstandort für gasisolierte Schaltanlagen (GIS). Als Isoliermittel für Hochspannungskabel verwendeten AEG-Ingenieure schon in den Dreißigerjahren Schwefelhexafluorid (SF6). Anders als bei luftisolierten Schaltanlagen sorgt der Einsatz von SF6 für ein effektives Verlöschen von Funkenstrecken. SF6 ist fester als Luft, hat eine höhere Durchschlagsfestigkeit, weist dank niedriger Ionisationstemperatur hervorragende thermische Eigenschaften auf, ist farblos, ungiftig und nicht entflammbar. Elektrische Lichtbögen - das haben AEG-Forscher erkannt - lassen sich mit diesem Gas sofort löschen. 1938 meldete die AEG ihre neue Erfindung zum Patent an. In den Fünfzigerjahren war diese Isolier- und Löschmitteltechnik weit genug weiterentwickelt, dass sie ab 1957 erstmals in den AEG-Hochspannungs-Leistungsschaltern angewendet werden konnte.