Am 16. April 1922 schließt er mit der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, dem späteren Gründungsmitglied der Sowjetunion, den völkerrechtlichen Vertrag von Rapallo. Die Wiederaufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen ist eminent für Deutschland (und die AEG), dessen Waren von den ehemaligen Kriegsgegnern im Westen boykottiert werden. Russland wird zum größten Handelspartner der AEG. Gleichwohl widerstrebt Rathenau die Annäherung an die Russen. Sich mit Russland diplomatisch, wirtschaftlich und militärisch zu verständigen, ist die Politik des Reichskanzlers Joseph Wirth und nicht die des amtierenden Außenministers. Rathenau sucht die Aussöhnung mit dem Erbfeind Frankreich und sieht in dem Vertrag von Rapallo eher ein Hindernis auf dem Weg dorthin. Der als Schulterschluss mit der Sowjetunion wahrgenommene Vertrag von Rapallo lässt rechte Gemüter aufkochen. Zwei Monate später, am 24. Juni 1922, erliegt Rathenau einem Mordanschlag Rechtsradikaler.
Der Vertrag von Rapallo und das dadurch begründete deutsch-sowjetische Zusammenwirken strahlt bis in unsere heutige Zeit. Russland missfällt die angestrebte Westorientierung der Deutschen seit jeher. Seinem argwöhnischen Blick möchte die deutsche Seite mit dem am 26. April 1926 abgeschlossenen Freundschaftsvertrag (Berliner Vertrag) begegnen. Was mit dem Vertrag von Rapallo seinen Anfang nahm, nimmt mit dem Vertrag von Locarno und dem Berliner Vertrag seinen weiteren Lauf. Besonders handelspolitisch wird die Beziehung beider Länder vertieft. Während Deutschland Ausrüstung, Maschinen und Technologie zur Erschließung von Ölfeldern in die Sowjetunion liefert, versorgt Russland das Deutsche Reich mit Erdöl und Kohle. Später kommen umfangreiche Erdgaslieferungen hinzu. Die in den 1970er Jahren geschlossenen deutsch-sowjetischen Röhren-Erdgas-Geschäfte beflügeln die handelspolitischen Beziehungen im Kalten Krieg. Am 20. November 1981 verständigen sich beide Seiten auf ein 20 Mrd. DM schweres Geschäft über den Bau von Rohrleitungen und Kompressorstationen. Jährlich sollen 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland und Westeuropa fließen. Durch die fortgeschrittene deutsch-sowjetische Annäherung sehen Polen und andere osteuropäische Anrainerstaaten, aber auch die USA ihre wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen beeinträchtigt. Trotz aller Kritik lässt sich der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) nicht beirren. Er und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) halten am größten Ost-West-Gasgeschäft aller Zeiten fest. Rohrleitungen über mehrere Tausend Kilometer von Sibirien nach Westeuropa, teilweise sechsspurig und auf Jahrzehnte ausgelegt sind technisch anspruchsvoll. Folgeaufträge auch für den AEG-Konzern zur Lieferung von elektrotechnischen Anlagen und Ausrüstungen wären zu erwarten. Obgleich das ursprünglich geplante Geschäft wegen der ausufernden Kreditkosten ganz erheblich zusammengestrichen werden muss, kommt die AEG dennoch mit einem 700 Mio. DM-Auftrag zum Zuge. Seit dem von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Bundesminister Egon Bahr (SPD) begründeten entspannungspolitischen „Wandel durch Annäherung“ soll mit solchen verbindenden Wirtschaftsabkommen zugleich der Frieden in Deutschland und Europa gesichert werden. Wer Gas, Öl und Kohle liefert, wirft keine Atombomben, ebenso wenig wie derjenige, der diese Rohstoffe benötigt. Der „Wandel durch Annäherung“ setzt sich wirtschaftspolitisch in der von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vorangetriebenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 fort. Noch mehr als die 2012 fertiggestellte 1224 km lange Nord Stream 1-Pipeline gerät Nord Stream 2 als zweite Ostsee-Pipeline in die Kritik. 2022 wird das Genehmigungsverfahren ausgesetzt und unter dem Eindruck des russisch-ukrainischen Krieges auf Eis gelegt. Am 12. April 2022, mitten im russisch-ukrainischen Krieg, macht die ukrainische Regierung ihrem Unbehagen Luft und gibt zu verstehen, dass in Kiew Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) wegen seiner in der Vergangenheit als zu freundlich empfundenen Russlandpolitik nicht gern gesehen sei. Einer gemeinsamen Reise der polnischen, estnischen, lettischen und litauischen Präsidenten Andrzej Duda, Alar Karis, Egils Levits und Gitanas Nausėda solle Steinmeier besser fernbleiben. Manche sprechen 100 Jahre später vom Rapallo-Reflex. Auf die Zusammenarbeit der AEG IE mit ukrainischen Firmen und Energieversorgern werfen solche politischen und diplomatischen Missklänge keinerlei Schatten. Obwohl aus der Nähe eines ukrainischen Kernkraftwerks Kampfhandlungen vermeldet werden, setzt AEG IE im April 2022 die Arbeiten zur Inbetriebnahme einer Erregeranlage in diesem AKW fort. Der sich verschärfende Kriegsverlauf der „speziellen Militäroperation“, wie es in Russland der dort verpflichtende Sprachgebrauch umschreibt, schränkt die AEG IE AG bei Arbeiten in der Ukraine zu sehr ein. Wann die Waffen schweigen, ist ein Jahr nach Kriegsbeginn immer noch nicht absehbar.